Eine wahre Geschichte...Frau Vartuhi Sen

Ich möchte von einer wahren Begebenheit berichten, welche 1915 in der Türkei, damals noch das Osmanische Reich ereignete.

Sicherlich haben Sie schon einmal von dem Völkermord an den Armeniern gehört oder gelesen. Wenn nicht, hier können sie nachlesen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Völkermord_an_den_Armeniern


Als Historikerin und Redakteurin für eine grosse französische Zeitung suchte ich nach Zeitzeugen des Völkermords in Anatolien. Schliesslich fand ich den Herrn Bekir Türkkan, der in Istanbul lebt und auf eine bewegende Familiengeschichte zurückblickt. Durch einen Mittelsmann bekam ich die Genehmigung den Herr Türkkan zu interviewen. Während des Interviews erfuhr ich von einer tragischen Geschichte, die bis heute mich innerlich berührt. Herr Türkkan erzählte von seinem Onkel mütterlicherseits Hüssein-Bey, der zu Zeiten des Jungtürken Regimes als Offizier in der Palastgarde diente. Hüssein-Bey wurde 1915 nach Sivas geschickt wo er an der Zwangsumsiedlung der Armenier bewachen sollte. Dort angekommen trieben die türkischen Truppen alle Armenier aus der Stadt und der umliegenden Dörfer zusammen. Zu Fuss wurden die Menschen bis zum Euphrat unter strengster Bewachung geführt. Während des langen Marsches starben viele an Schwäche oder wurden zur Freude der Offiziere einfach erschossen.

Herr Türkkan erzählte: "(...) einige der Offiziere vergriffen sich an den Mädchen und erschlugen sie darauf. Die Leichen wurden einfach liegen gelassen. Die Eltern oder Geschwister der armen Geschöpfe mussten die grausame Vergewaltigung unter Gewalt mit ansehen oder wurden zusammen mit der Vergewaltigten ermordet. Mein Onkel erzählte von einem 20 jährigen jungen Mann, der die Misshandlung seiner kleinen Schwester unter Folter mit ansah. Als er seine Schwester rächen wollte wurde ihm direkt in den Kopf geschossen um daraufhin geköpft zu werden. Zur Abschreckung wurde der Kopf des Jünglings der Masse vorgehalten".

Hussein-Bey habe allerdings diese Gräueltaten zuwider gewesen und hätte sogar versucht die anderen Offiziere von Misshandlungen und Morden abzuhalten. Doch die Offiziere hätten ihn ausgelacht und ihn als "Freund der Ungläubigen Verräter bezeichnet". Aus Angst um sein eigenes Leben musste er die grausamen Ereignisse stillschweigend hinnehmen.

Schliesslich kam die Gruppe am Euphrat an, wo die türkischen Offiziere den Befehl bekamen alle Armenier, die sie wie Tier vor sich hin getrieben hatten sofort zu töten. Als die ersten Opfer unter Schwert und Beil hieben niedergemacht wurden, begannen die anderen Armenier lauthals zu schreien und zu klagen. Ohne aussnahme schlugen die türkischen Offiziere die armenischen Kinder, Frauen und Greise nieder. Die jungen Mädchen und Frauen liefen hinunter zum Fluss um sich in den Fluten zu ertränken. Sie wollten lieber sterben, als von den türkischen Offizieren zuerst brutal vergewaltigt zu werden.

Herr Türkkan erzählte weiter: "(...) eine Gruppe von jungen Frauen hatten sich zum Flussufer retten können und versuchten dort auf die andere Seite zu schwimmen. Doch hinter sich kamen schon die Offiziere und schnappten einige. Sofort wurden die Mädchen mit Picken niedergestochen. Die anderen die weiter schwimmen konnten gaben nach einer weile auf, da sie die Hilferufe ihrer Angehörigen hörten und sich einfach in die Fluten gleiten liessen. Mein Onkel beteiligte sich nicht am Morden und sah eine Familie wie sie mit Schwerthieben niedergemacht wurden, nur die junge Tochter blieb übrig, die sie vergewaltigen wollten. Mein Onkel lief zu dem Mädchen und rettete sie aus den griffen der Offiziere. Er setzte sie zu sich aufs Pferd und ritt mit ihr vom blutigen Geschehen fort".

So rettete Hussein-Bey die kleine Vartuhi aus einem armenischen Dorf bei Sivas. Er brachte Vartuhi nach Istanbul wo er sie zunächst in die Obhut einer reichen armenischen Familie geben wollte. Doch Vartuhi akzeptierte dies nicht und wollte bei ihrem Retter bleiben. Um Vartuhi vor weiteren möglichen Deportationen zu schützen ehelichte Hussein-Bey sie und gründete mit ihr eine Familie. Um nicht aufzufallen musste Vartuhi ihren Namen zu Aysche ändern.

Leider konnte ich Frau Vartuhi Şen nicht selbst interviewen, da sie bereits 1992 verstorben ist. Doch ihre tragische Geschichte wird im ewigen Gedächtnis des armenischen Volkes weiterleben.
Es existieren viele tragische Geschichten, wie die der Frau Vartuhi Sen. Zwischen 1915 und 1917 wurden viele armenische Kinder von türkischen Familien adoptiert oder von türkischen Offizieren verschleppt. Sehr viele armenische junge Mädchen wurden zwangsverheiratet oder als Konkubinen benutzt.

Noch heute akzeptiert die Türkische Republik den Völkermord an den Armeniern nicht. Vehement leugnet sowohl die türkische Regierung als auch viele türkische Akademiker die Vertreibung und Ermordung von etwa 2.000.000 Armeniern. Noch dazu behauptet die Türkei das nur 900.000 Armenier umgesiedelt wurden (man beachte umsiedelt nicht zwangsumsiedelt). Dreist geben sogar manche türkische Historiker die Zahl der Vertriebenen als 500.000 an.

In Frankreich wurde 2001 durch den Beschluss der Nationalversammlung das Völkermord Gesetz verabschiedet, demnach die Leugnung des armenischen Genozides unter Strafe gestellt wurde. Die Türkei war natürlich empört und versuchte durch verschiedene Druckmethoden das Gesetz zu kippen, was sie im Frühjahr 2012 auch geschafft hat.

Wer sich für den Völkermord an den Armeniern interessiert, hier eine Literaturliste:

- Gust, Wolfgang: Der Völkermord an den Armeniern, ersch. 2005

- Hosfeld, Rolf: Operation Nemesis, ersch. 2005

- Troeger, Brigitte: Brennende Augen, ersch. 2008 (erzählende Biographie über Johannes Lepsius)

- Çetin, Fethiye: Meine Grossmutter, ersch. 2011 (erzählende Biographie über eine Türkin die feststellen muss, dass sie armenische Vorfahren hat, sehr empfehlenswert)

- Jakob Künzler (Autor), Hans-Lukas Kieser (Hersg.): Im Lande des Blutes und Tränen, ersch. 1999 (neutrale Augenzeugenbericht über die Geschehnisse zwischen 1914-1918, sehr empfehlenswert)

- Lepsius, Johannes: Bericht über die Lage des Armenischen Volkes in der Türkei, Neuauflage ersch. 2008, original ersch. 1916 (Johannes Lepsius Bericht wird oft als Grundlage unter anderem für Kaukasus-Studien, Völkermordrecherche benutzt, sehr empfehlenswert)


- Dink, Hrant: Von der Saat des Wortes, ersch. 2008 (Bericht von Hrant Dink, ein türkischer Staatsangehörige mit armenischen Wurzeln, er wurde 2007 auf offener Strasse von einem türkischen Fanatiker erschossen)


Ausserdem Film & DVD:

- Aghet-Ein Völkermord, Regisseur Eric Friedler, ersch. 2011

Auf Youtube kann man die Dokumentation "Aghet" auch anschauen, hier der Link:

http://www.youtube.com/watch?v=5JZUsd4nQSI

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